"𝐃𝐚𝐬 𝐀𝐛𝐲𝐬𝐬𝐚𝐥" - 𝐕𝐨𝐧 𝐖𝐚𝐬𝐬𝐞𝐫𝐰𝐞𝐥𝐭𝐞𝐧 𝐮𝐧𝐝 𝐠𝐥𝐚𝐮𝐛𝐡𝐚𝐟𝐭𝐞𝐧 𝐀𝐥𝐢𝐞𝐧𝐬 🌐👾

Hey ho, nach längerer Zeit melde ich mich mal wieder mit einer SciFi-Rezension bei euch, und zwar zu "Das Abyssal"! 😄 Wie schon zu "Neonbirds" gibt es zunächst eine spoilerfreie Übersicht und dann einen Deepdive (Ba-dusch! 🥁😆), in dem sich Spoiler befinden werden und wir uns die Science hinter der SciFi ansehen 🔍🤓📊🤠🔎

"𝐃𝐚𝐬 𝐀𝐛𝐲𝐬𝐬𝐚𝐥" ist eine Weltraum-Robinsonade von H. C. Schneider über eine diplomatische Gesandtschaft des samonischen Sternenreichs, die auf dem Weg zum Zentralplaneten der Huc-Rebellen auf dem Wasserplaneten Levitan abstürzt. Die zwei Senatorenanwärter Nimir und Valor sowie Valors Bruder Morian (seines Zeichens Pilot, unverwüstliche Frohnatur und das schwarze Schaf seiner alten, adeligen Familie) und Valors Verlobte, die reservierte und analytische Rona, überleben in einer Rettungskapsel, während der Großteil des Schiffes in den Wellen der Wasserwelt versingt. Nun müssen die vier (und vor allem Morian und Rona) lernen, miteinander klar zu kommen, um einen Weg zurück in die Heimat zu finden.

Soweit mal zum Setting. Kennt jemand von euch das Spiel "Subnautica", den wunderschönen Film "Enemy Mine" - oder gar beides? 😆 Denn letztlich ist die grundlegende Handlung am ehesten als eine Mischung aus beiden zu beschreiben ^^

Insgesamt hat mir das Buch richtig viel Spaß gemacht und mich gut unterhalten. Gerade die beiden so gegensätzlichen und sich doch zunehmend besser verstehenden Blickwinkel-Charaktere des Romans, Rona und Morian, sind ausgesprochen gut gelungen - ganz besonders Morian. Seit Kaladin in den Sturmlicht-Chroniken ist mir kein Buch-Charakter mehr so sympathisch gewesen 😄🍻 Das einzige, wenn auch kleine Manko, das ich einbringen möchte, ist die "Irdischheit" der erkundeten, angeblich ja außerirdischen Welt. Womit ich in den etwas spoiligeren und wissenschaftlicheren Teil einsteige, also seid gewarnt! 🤓 Ohne Spoiler und meine primär wissenschaftliche Kritik geht es dann bei den Schlussworten weiter 😉👍

𝐃𝐚𝐬 𝐏𝐫𝐨𝐛𝐥𝐞𝐦 𝐦𝐢𝐭 ü𝐛𝐞𝐫𝐳𝐞𝐮𝐠𝐞𝐧𝐝𝐞𝐧 𝐀𝐥𝐢𝐞𝐧𝐬 👽

Vorneweg möchte ich betonen, dass das hier wohl niemanden als Biologie-Nerds sowie Fans von spekulativer Evolution und Pseudo-Dokus über Biosphären außerirdischer Planeten kümmern wird. Für mich (als alles von den obigen Punkten) ist das allerdings ein wichtiger Faktor für die Immersion in eine phantastische Welt. Das ist einer der Gründe, warum ich die "Sturmlicht-Chroniken", "Dune" oder die Bücher von Neal Asher so sehr mag - eben weil die Autoren sich zu den gezeigten Biosphären und ihrer Evolution sehr viele Gedanken gemacht haben.

Zurück zur Wasserwelt Levitan und seiner irdischen Flora und Fauna. Na klar, konvergente Evolution sieht man überall in der Natur (falls ihr meinen Online-Führungen im Naturkundemuseum Stuttgart folgt, habt ihr mich schon mantramäßig darüber sprechen gehört - dass ähnliche Lebensräume ähnliche Lösungsstrategien hervorbringen, gehört für mich zu den spannendsten Prinzipien der Evolution 😁), aber trotzdem: Lebewesen, die sich völlig problemlos als Fische, Korallen, Schwämme, Seegras, Gras, Farn, Eidechsen oder Insekten identifizieren lassen, auf einem außerirdischen Planeten? Das ist doch etwas viel des Guten.

Andererseits will ich auch nicht vorschnell urteilen. Ich bin noch nicht tief genug in dem größeren Universum drin, das H. C. Schneider hier geschaffen hat, von daher wäre es möglich, dass die "Baryon-Galaxie" einst von irdischen Menschen besiedelt wurde, die ihre neuen Welten terraformten und die irdische Biosphäre mit sich nahmen. Das würde auch erklären, warum all die unterschiedlichen raumfahrenden wie "eingeborenen" Zivilisationen ausnahmslos aus extrem menschenähnlichen Humanoiden bestehen. Das wird aber (in diesem Buch zumindest) nicht beantwortet.

Falls es sich aber nicht um eine ein paar zehntausend Jahre isolierte, ursprünglich irdische Biosphäre handelt, sondern eine außerirdische, so ist sie vergleichsweise enttäuschend. Am außerirdischsten sind noch der Blitze schleudernde, Psychosen erzeugende Riesenkalmar🦑 und der seltsame, scheinbar ebenso psychisch aktive Biofilm 🧫 in der Tiefsee. Allerdings ist ersteres immer noch einfach ein Tintenfisch - gewaltiger und mit Superkräften, aber ein Tintenfisch. Das lässt den intelligenten Schleim als einzig wirklich außerirdisch wirkendes Wesen zurück.

Generell gibt es meiner Ansicht nach zwei ganz entscheidende Punkte, was man bei der Schaffung von Alien-Biosphären (natürlich wieder nur subjektiv) falsch machen kann: Zu wenig verfremden oder vieeeel zu viel und aus biologischer Sicht damit wieder unrealistisch. Dazwischen liegt (um diesen Begriff aus der Astro-Biologie zu bemühen und endgültig in die Nerderei abzudriften) die Goldilocks-Zone - mit genau dem richtigen Maß an Verfremdung und Kreativität.

Hierfür ist ganz entscheidend, immer die Evolution im Hinterkopf zu haben: Wie konnte dieses oder jenes Körperteil entstehen? Wie konnte sich dieses Tier oder diese Pflanze entwickeln? Wie sind die Lebewesen miteinander verwandt, was für Kladen und Taxa gibt es, und welche ökologischen Nischen? Mit den Dingen, die man beachten kann, sowie mit genialen Anwendungsbeispielen könnte man dutzende Youtube-Videos füllen - was ich mittelfristig schon seit einiger Zeit in Planung habe 😂 Sehr empfehlenswert bis dahin sind in dieser Richtung die Videos von Biblaridion auf Youtube - einfach nur genial ^^

Als ganz generelles Vorbild ist ein Blick auf unsere eigene Evolution hilfreich - und zwar, wie oft Strukturen unabhängig voneinander entstanden sind. Korallen, Seeanemonen und Schwämme beispielsweise sind jeweils nur exakt einmal entstanden, daher wäre es unwahrscheinlich, sie in genau der gleichen Form auf einem Alien-Planeten zu finden. Mehrzelligkeit und Augen hingegen sind mehr als ein Dutzend Mal unabhängig und auf die unterschiedlichsten Weisen entstanden, daher ist es relativ wahrscheinlich, dass Aliens, die von einem erdähnlichen Planeten stammen, Augen besitzen und Mehrzeller sind. Andererseits bietet diese Art von Denken auch ihre Irrwege - so wird gerade in populärwissenschaftlichen Berichten oft die Körperform des Fisches bemüht - Haie, Delfine und Fischsaurier haben (bzw. hatten) sehr ähnliche Körper und Silhouetten und sind ein Schulbuchbeispiel von konvergenter Evolution. Allerdings sind alles drei ja auch bis zu einem gewissen Grad Fische - Fischsaurier und Delfine sind Tetrapoden, also im weitesten Sinne "Landfische", die ins Wasser zurückkehrten. Wenn ein Fisch seinen Körper anpasst, um an Land zu leben, und seine Nachkommen wieder ins Wasser zurück gehen, kommt natürlich ein fischartiger Körper dabei heraus.

Hilfreicher ist ein Blick auf Schnellschwimmer aus anderen Tiergruppen. Da gäbe es einmal bei den Mollusken die Kalmare, die unabhängig von den Wirbeltieren ein Endoskelett entwickelt haben, oder urzeitliche Gliederfußverwandte wie gepanzerten Seeskorpione oder die skurrile Verwandtschaft von Anomalocaris. Alle diese Tiere sind bzw. waren (zumindest teilweise) schnelle Raubtiere des offenen Wassers. Und alle haben einen stromlinienförmigen Körper und Flossen. Da enden die Gemeinsamkeiten dann aber auch schon, und kaum jemand würde wohl einen Seeskorpion oder Kalmar als "fischförmig" bezeichnen (ganz im Gegensatz zu einem Delfin oder Fischsaurier). Natürlich ist ein Tintenfisch oder Seeskorpion auf einem außerirdischen Planeten genauso unwahrscheinlich wie ein Fischsaurier oder ein Potwal (oder ein Petunientopf... 😆). Aber es gibt einem eine Orientierung, wie unterschiedlich und doch vergleichbar Lebewesen in ähnlichen ökologischen Nischen aussehen könnten 😊👾👽🐉

𝐖𝐚𝐬𝐬𝐞𝐫𝐰𝐞𝐥𝐭𝐞𝐧 🌊🌐🌊

Und dann noch kurz zu Levitan selbst, bei dem es sich ja um schon laut Klappentext um eine Wasserwelt handelt. Da hatte ich mir tatsächlich etwas mehr erhofft, denn die echten Wasserwelten, die einen Großteil der in den letzten 25 Jahren entdeckten, hypothetisch bewohnbaren Planeten in anderen Sonnensystemen ausmachen, bieten Raum für wirklich exotische, außerirdische Schauplätze und Geschichten.

Eine Wasserwelt entsteht, wenn ein Planet von zwei bis sechs Erdmassen im äußeren Bereich der bewohnbaren Zone um seinen Stern entsteht und durch seine Gravitation und sein starkes Magnetfeld große Teile des Wasserdampfes aus der protosolaren Scheibe halten kann. Im Gegensatz zur Erde, die so klein ist, dass sie ihr Wasser schon kurz nach der Entstehung verlor und erst durch den endlosen Regen von Kometen mit dem wenige Kilometer zarten Wasserfilm benetzt wurde, der unsere Ozeane bildet.

Im krassen Gegensatz dazu sind Wasserwelten tatsächlich genau das: Sie bestehen zu einem substanziellen Teil aus Wasser, das sie in Form eines hunderte Kilometer tiefen Ozeans mit einer dicken Schicht glühend heißen Hochdruckeises am Grund bedeckt. Durch die große Masse wäre ihr Inneres vielleicht trotzdem vulkanisch aktiv genug, das Wasser mit Mineralien zu versorgen und so einen Kohlenstoffkreislauf am Laufen zu halten.

Auf diesen Planeten wären selbst die gewaltigsten Berggipfel in Tiefen, in die kein Tauchboot jemals vorstoßen könnte. Ein restlos offenes Meer, mit Wellen, die niemals auf Widerstand stoßen und unglaublich lang, aber auch hunderte Meter hoch werden könnten - wie sich um den Planeten herum bewegende Mittelgebirge... Und theoretisch böten Polkappen oder auch große schwimmende Riffe aus sowas wie kolossalen Algenkolonien oder anderen driftenden Lebewesen auch hier so etwas wie eine Oberfläche mit vielen, vielen Möglichkeiten für spekulative Evolution 😄

𝐒𝐜𝐡𝐥𝐮𝐬𝐬𝐰𝐨𝐫𝐭

Aber wie gesagt, das ist nur meine persönliche Pingeligkeit in Puncto Astrobiologie und Exoplaneten. Insgesamt ist "Das Abyssal" trotzdem eine absolute Kaufempfehlung, gerade wegen der tollen Charaktere (schon für Morian allein 😂) und der rasanten Handlung mit vielen überraschenden Wendungen und einem guten Worldbuilding (auch wenn die Geschichte der Baryon-Galaxie besser ausgearbeitet war als die uncanny erdartigen Aliens) 😄

Von mir gibt es daher vier von fünf Monden 😊👍

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Habt ihr "Das Abyssal" schon gelesen? Was ist eure liebste außerirdische Welt, und was ist euer liebstes Meerestier? Ich schwanke da sehr klischeehaft zwischen Oktopus 🐙 und Potwal 🐋

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